Der Weg durch die Ideologiegeschichte des Abendlandes
führte uns im letzten Tattva Viveka von Pythagoras über Sokrates, Platon,
Aristoteles bis über die Höhen und Tiefen der Scholastik und parallel
dazu in die mittelalterliche Mystik und Alchimie. Um Mißverständnissen
vorzubeugen: Es ist nicht meine Absicht, hier ein Panorama der Denkstile
des Abendlandes vorzustellen. Es sind bei weitem nicht alle wichtigen
Philosophen und Ideologen aufgeführt, die maßgeblich das öffentlich gelehrte
Denken und die gesellschaftlichen Ziele unserer Zeit geprägt haben. Der
folgende Beitrag will zunächst deutlich machen, wie die sophistische Klügelei
um die Gottesidee erst zaghaft, dann sturmartig umschlägt in die Rückbesinnung
auf die menschlich-weltliche Macht, wobei die scholastische Denkdisziplin
- unter radikaler Veränderung der Werte und Ziele - durchaus als Vorübung
zum rigiden, dogmatischen Rationalismus des wissenschaftlichen Zeitalters
gesehen werden kann.... Im zweiten Teil über ‚Die neuen Paradigmen' wenden
wir uns erst den ideologiekritischen Anmerkungen aus der Erkenntnistheorie
zu, um dann diese ‚neuen Paradigmen' vorzustellen. Zum Schluß wird deutlich,
wie diese die Natur-Geistspaltung Zug um Zug überwinden und den Weg frei
machen in die ‚philosophia perennis', um nach düsteren Zeitaltern des
(äußerlichen) Erklärens, der kulturellen und naturalen Vergewaltigungen
die Tore aufzustoßen in die Welt des wesenhaften Verstehens, des Bewußt-Seins.
Der
Sturz von der These in die Antithese im 17. Jh.
Die These des Ausgeliefertseins des Menschen
an Gott und Kirche, die alltägliche Behinderung praktischer und spiritueller
Erkenntnis und Erfahrung, die ständige Abfolge von Bannsprüchen gegen
Andersgläubige und vor allem die Schreckensherrschaft der Inquisition
nährte die Sehnsucht nach dem Dammbruch. In versteckter Form fanden Rinnsale
immer wieder einen Weg in die Freiheit des Geistes, etwa in Gestalt der
Alchimie, doch sie hatten kaum einen Einfluß auf die Linderung der Not
und Unterdrückung in der Welt. Die Sehnsucht nach praktischem Fortschritt
im Lebensalltag ohne religiöse Knebelung erfüllte Galileo Galilei (1564
- 1642). Er machte wahr, was zwei Jahrzehnte vor ihm Francis Bacon (1561
- 1626) postuliert hatte: der Natur ihre Geheimnisse so zu entlocken bzw.
zwingend zu entreißen, daß sie diese preisgeben müsse: also nicht mehr
durch hypothetische Spekulation wie bei Aristoteles, schon gar nicht durch
sensibles Einfühlen und Einswerden, wie es der keltischen Naturverehrung
entsprach, sondern durch das zwingende Experiment: "Messen und zählen,
was meß- und zählbar ist; alles, was es nicht ist, meß- und zählbar machen".
Plato umgedreht und ausgeschüttet
Plato
umgedreht und ausgeschüttet
Galilei führte also die quantitative Methode ein, das theoretisch entworfene
"experimentum crucis". Dabei griff er für den oberflächlichen Betrachter
auf Pythagoras und Plato zurück, wenn er sagte, das Buch der Schöpfung
sei in mathematischen Zeichen geschrieben. Erinnern wir uns diesbezüglich
an die pythagoräische Dreigliederung des Begriffs der ‚Theoria' a) »Erkenne
dich selbst! « b) »Erkenne die Einheit des Weltgefüges und ihr geistiges
Wesen! « c) »Erkenne die Verbindung zwischen den sterblichen Menschen
und den unsterblichen Göttern und deinen Weg von diesem Zustand zu jenem!
« »Bios theoreticos« stand für die Bestimmung des Menschen, die Wahrheit
als die Erkenntnis der ewigen Dinge zu erwerben. Pythagoras und Plato
sahen im Äußeren eine symbolische Kosmologie des Inneren und lehrten umgekehrt
die ‚Kosmogonie' (Nachvollzug des Göttlich-kosmischen im Irdisch-weltlichen
und im Bewußtsein) als Lebensideal, als die ‚Qualitas' an sich. Durch
diese analoge Zuordnung von menschlichen, göttlichen und naturalen Qualitäten
konnte sich der Neuplatonismus ohne weiteres mit Kabbalistik und Mystik
verbinden, blieb also stets eine dem Heiligen und Numinosen verpflichtete
‚Wissenschaft'. Sogar Alltagsgegenstände wie Küchenherd, Schale oder Schwert
hatten darin den dreifachen Bezug als Repräsentation des bzw. eines göttlichen,
intelligenten Wesens (Gottheit, Engel, Urbild) und dessen Sinn oder Selbstzweck
(‚telos'), eines menschlichen Verwendungszwecks und eines Geschenkes der
Natur als lebendige, intelligente Weltenseele. Jedoch bereits Aristoteles
eliminierte aus den "platonischen Ideen" den esoterischen (inneren) Gehalt.
Für ihn bestand die Welt nur noch aus simplen Anschauungs-Kategorien.
Am Ende des Mittelalters hatte der Begriff der ‚Theoria' sowie der damit
untrennbar verbundenen ‚Entelechia' und in der Folge die ganze Mathematik
der Zahlenwerte einen fundamentalen Bedeutungswandel durchgemacht. Im
heutigen Zeitalter des [scheinbar] aufgeklärten Rationalismus denken wir
infolgedessen ganz selbstverständlich nur noch in profanen Kategorien,
was im hierophanen, partizipierenden Bewußtsein Qualität bedeutet: Im
kategorialen Sinne verkürzt sich diese Dreiheit auf den gedachten instrumentellen
Zweck allein. So blieb auch vom äußerst tiefsinnigen kosmologischen Wesensgehalt
der Zahl (wie bei Plato) nur mehr ein im wahrsten Sinne des Wortes bedeutungs-loses,
rein quantifizierendes, totes Zählgerippe. Auf diese ganze, von Aristoteles
nicht mehr begriffene, Widersprüchlichkeit zum (lebendigen) Geist setzte
aber die erstarkende Kirche ihre kosmologische Konstruktion, was auf längere
Sicht gar nicht anders als schiefgehen konnte.
Erkenne
dich selbst - in Perversion
Die konsequente Umprägung des Theorie-, Teleologie- und Qualitätsbegriffes
finden wir zuletzt in folgenden stillschweigenden ‚Wissenschaftskriterien':
a) Eliminiere pragmatisch jede geistige Perspektive aus deiner Weltsicht
b) Suche nach standardisierten Verallgemeinerungen, also Kategorien statt
nach platonischen Ideen = Wesenszügen c) Suche den Zweck in deinen (dich
be-)herrschenden (Konsum-)Bedürfnissen statt in der Vervollkommnung der
Seele (wobei widersprüchlicherweise der Forscher als Bezugpunkt im naturwissenschaftlichen
Schlußfolgern nicht vorzukommen hat - außer, wie wir noch sehen werden,
in der Quantenphysik). Die Wurzel dieser Perversion ist schon beim "heiligen"
Augustinus zu finden. Am Beispiel seines zurechtgebogenen und vereinnahmten
Gottesbildes (unendlich transzendent, naturfern und -feindlich) fiel es
einem Laplace außerordentlich leicht, Stufe 3 zu vollziehen: Mit der Schützenhilfe
von Newtons Himmelsmechanik bewies er, daß die "Hypothese Gott" für eine
ernsthafte Wissenschaft "nicht brauchbar" ist, daß also die Natur ohne
sie berechenbar gemacht werden kann und hinfort soll. (Stufe 2 vollzog
Galilei in der Praxis und Descartes in der Theorie, indem ersterer das
Experiment und die Naturbeschreibung, letzterer die rationalistische Schlußfolgerung
streng von ‚esoterischen' Überlegungen trennte.) Das Interesse der Massen
konnte schließlich in einem vierten Schritt dahingehend manipuliert werden,
daß in den Schulen weitgehend nur mehr die Befähigung zur industriellen
und wirtschaftlichen Verfügbarkeit gelehrt wurde und wird, wobei der Religionsunterricht
sich selbst entäußert und isoliert, ja eigentlich längst ad absurdum führt.
Die Umwandlung der Primärbedürfnisse in sekundäre, die oberflächlich durch
Marktangebote befriedigt werden, stellt sich dabei wie von selbst ein...
(pseudoaufklärerisch nennt sich das "Entmythologisierung"). Wahrscheinlich
hätte die Wissenschaft ohne scholastische "Vorbildung" nie werden können,
was sie geworden ist: dogmatisch in ihrem Anspruch, die Wirklichkeit methodisch
richtig zu erfassen, diktatorisch in dem von ihr als ‚einzig wahr' dargestellten
‚way of life'. Dafür galt es im Zuge solcher "Entmythologisierung" ein
weiters Vakuum zu besetzen: Das "Erkenne dich selbst" umschließt ja auch
die Fragen: "Wer bin ich? Woher komme ich? Was ist mein Ziel?" Wieder
unbewußt durch die menschlich-unannehmbare klerikal-naturfeindliche Erziehung
des Volkes bestens vorbereitet, galt es an die Stelle der ‚Schöpfung'
einen neuen Mythos zu setzen: Im 19. Jh. formulierte Darwin (1809 - 1882)
(und nach ihm noch radikaler Jaques Monod [1910-1976]) seine Paradigmen
zur Evolution. Dabei ist es nur konsequent, wenn aus dem "unerforschlichen
Ratschluß Gottes" (als Synonym für den Gnadenbegriff) im materialistischen
Weltbild ein "blinder Zufall" wird, während aus der "gefallenen Schöpfung"
ein "unerbittlicher Kampf um egoistische und gattungsbestimmte Daseinsvorteile"
hervorgeht, die wiederum im industriellen Wettstreit ihre reinste Widerspiegelung
finden (in bezug auf die Natur wurden dieses ‚sozialdarwinistische Dogma
in letzter Zeit bereits vielfach widerlegt). In gewisser Weise werden
auch hier nur die Vorzeichen dessen, was als erstrebenswert gilt, geändert,
u.a. von streng theistisch auf streng atheistisch, der Rest erledigt sich
von selbst.
Der
dreifache Identitätsverlust bei Descartes...
Augustinus hatte mit größtem Erfolg Verworfenheit und Ohnmacht
des Menschen vor Gott suggeriert und mit seinem Postulat "nihil salus
extra ecclesiam" ("es gibt kein Heil außerhalb der Kirche) scheinbar unentrinnbar
eine ebenso gefährliche wie fatale usurpatorische Macht zwischen dem Individuum
und seinem Urgrund geschoben. Als schließlich der Leidensdruck der unterdrückten
Völker und somit die Zeit dazu reif war, hatte es René Descartes (1596
- 1650) leicht, die Antithese dessen populär zu machen: Er setzte den
Menschen wieder in den Mittelpunkt und nannte ihn das "Maß aller Dinge".
Darüber hinaus ist das cartesianischen Weltbild in wesentlichen Punkten
nur die materialistische Umdeutung dessen, wie schon die Scholastik sich
Gott nach dem Bilde ihrer Gelehrten erschuf (siehe wieder die Analogie
zur ‚Theoria'): a) Gleichsetzung von Geist und Intellekt; b) Gleichsetzung
des Idee- und Transzendenzbegriffes mit praktisch totalitärer Abstraktheit;
c) die uns umgebende Natur degradierte er jedoch vollends, nämlich zu
mechanistisch begriffenen Dingen und (Gebrauchs-)Gegenständen ("res extensa").
Mit derselben Konsequenz erklärte er die innewohnende Natur der Organismen
zu ("nichts als") biologischen Maschinen mit - erst später entdeckten
- psychischen Mechanismen.
...
und dessen konsequente Steigerung im 19. und 20. Jahrhunderter
Wenn sich die ebenso einseitige wie "hervorragende" intellektuelle
Eitelkeit mit sozialem Missionierungsdrang verbindet, hat das fatale Folgen.
Dazu nur stenogrammartig einige Beispiele:
- Rudolph Vierchov (1821 - 1902) etablierte die
konsequente Leugnung der Seele und schob dem Zellhaushalt allein das
Zustandekommen von Krankheiten zu - wodurch er die abendländische Menschheit
von der deprimierenden Aussicht auf "Krankheit durch Sünde" befreite;
- Sigmund Freud (1856 - 1939) stellte die Sexualität
als eigentlichen Antrieb gegenüber jeder kulturellen Norm heraus;
- Viktor Kraft etablierte daraufhin die "optimale
Begehrensbefriedigung" als den eigentlichen Sinn des Daseins;
- Rudolph Carnap ging schließlich noch einen Schritt
weiter und leugnete überhaupt jeden Sinn, während Ludwig Wittgenstein
(1889 - 1951) dessen Suche schlicht als "falsch gestellte Frage", Ethik
als "Geschwätz" und metaphysische Probleme als Resultat mangelhaften
Erfassens der ‚Grammatik' der Wörter bezeichnete...
Und so wird mittlerweile praktisch weltweit und
gleichsam selbstverständlich auf allen namhaften Schulen und Universitäten
ein methodischer Atheismus und Agnostizismus gelehrt...
Davon abgesehen wird aber auch der echte Fortschritt
durch Bacon, Galilei, Descartes und Newton deutlich: Der Intellekt braucht
die Kontrolle durch Erfahrung, resp. durch das Experiment, um zu gültigen
Schlüssen über die Wirklichkeit (genauer gesagt: über die meßbare Tatsachenebene)
zu kommen, es genügt keineswegs, den aristotelischen Vernunftprinzipien
allein zu trauen. Das war der große Hemmschuh, warum sowohl die Scholastik
wie m.E. die Naturphilosophie des Mittelalters ständig auf der Stelle
traten. Doch selbst damit ist noch lange nicht das letzte Wort gesprochen,
denn auch Rationalität plus Empirie hält das menschliche Bewußtsein in
Grenzen, in viel engeren nämlich, als es seinem Potential entspricht.
Entstehung
"papierener" Werte
Die konsequente Anwendung der Methode, möglichst alle Werte
des Lebens bloß noch zu quantifizieren, findet im 17. Jh. ihren "würdigen"
Partner in der Erfindung des Papiergeldes. (Die Idee war nicht ganz neu,
in China läßt sie sich bis ins 7.Jh. zurückverfolgen, u.a. verbreitete
Marco Polo diese Kunde in Europa. Goethe setzte jene problematische "alchimistische"
Kunst, die seither einfach aus Papier "Gold" macht, im Faustdrama, Teil
II ein [noch viel zu wenig erkanntes] Denkmal abendländischen Eroberungswahns.
Auf der Tatsachenebene war es schließlich der durch Kriege verschuldete
Wallenstein, welcher der Idee endgültig zum Durchbruch verhalf, mit der
Unterschrift des Kaisers auf wertlosem Papier die noch nicht mal gehobenen,
also erst (vom ‚dumben Volk') zu erarbeitenden Bodenschätze an seine Gläubiger
zu verpfänden, nach dem gleichen Muster des Zinseszinsjochs, unter dem
sich seit Kolumbus die 3. Welt verschuldet und verkauft [und von uns letztlich
jeder einzelne an die Bankenmacht]). Das Schuldenpapier = Papiergeld und
seine Herren diktieren seither die Ziele der Forschung und den Gang der
industriellen Revolution in Form der ebenso wohlfeilen wie konsequenten
Unterwerfung der Natur und zugleich Vermassung und Degradierung des Menschen
zur bloß quantitativ gemessenen "Arbeitskraft". Mit dieser Wende zur vollendeten
Quantifizierung a) der Zahl, b) der Welt und c) der Werte frißt also,
wie C.F. Weizsäcker bemerkt, die Revolution endgültig ihre Kinder. Aus
einem lebendigen Universum voller Wunder wird eine unendliche Wüste berechenbarer
Gebrauchsgegenstände. Das Loblied des staunenden Weisen, der sich mit
zunehmendem spirituellem Wachstum immer intensiver als Teil des Großen
Geheimnisses begreift, erfriert unter der seelenlosen Maske der zweiten
(menschlich-prometheischen) Supermarkt- und Automaten-Schöpfung.
DIE
NEUEN PARADIGMEN
Newton's Satz "Hypothesen ersinne ich nicht" läßt sich
als zentraler Punkt ausmachen, durch den die Ergebnisse einer induktiv-positivistischen
Methode die Qualität eines ideologischen Dogmas gewinnen. Der technische
Erfolg dieser Methode scheint ihr auf den ersten Blick vollkommen recht
zu geben, doch der Versuch, Hypothesen quasi als "zwingend" hinzustellen,
kann nur scheitern.
"Hypothesen
sind relativ willkürlich...
Sie beschreiben in erster Linie unseren Verständnishorizont."
Karl Popper (* 1902), von dem dieser Satz stammt, zerstörte gründlich
dieses Wunschbild damit, daß er messerscharf folgerte: "Bekanntlich berechtigen
uns noch so viele Beobachtungen von weißen Schwänen nicht zu dem Satz,
daß alle Schwäne weiß sind." Er läßt damit eine nur annähernde Wahrheitsfindung
gelten, die sich in wissenschaftlichen Experimenten oder technischen Anwendungen
bewahrheiten müsse.[1] Nach ihm ist die Wahrheitsfindung primär deduktiv,
wobei er die Wichtigkeit intuitiver Schritte als Erkenntnistheoretiker
voll anerkennt.
"...weder
wahr noch wahrscheinlich"
Poppers Modell wird in der Folge von anderen noch weiter
ausgefeilt, erhält aber neuerdings seinerseits empfindliche Erschütterungen,
die es wahrscheinlich machen, daß es sich davon nicht mehr erholen wird:
Das Problem formuliert treffend Franz Moser [2]: Hatte man bisher angenommen,
die Methoden der Wissenschaften würden garantieren, daß ihre Ergebnisse
wahr, wahrscheinlich, fortschrittlich oder zumindest in hohem Maße bestätigtes
Wissen wären, so mißtrauen zumindest Erkenntnistheoretiker dieser Ansicht
und halten sie für naiv. So schreibt Larry Laudon: "Alle Glaubenssysteme,
einschließlich der Wissenschaft, muß man als Dogmen und Ideologien sehen,
zwischen denen eine objektive, rationale Entscheidung nicht möglich ist."
Und er führt aus: "Wissenschaftssoziologen konnten auf verschiedene Episoden
der kürzlichen und länger vergangenen Wissenschaft verweisen, bei denen
unzweideutig verschiedene nichtrationale oder irrationale Faktoren im
Wissenschaftsprozeß beteiligt waren. Einige Historiker und Wissenschaftstheoretiker
(z.B. Kuhn und Feyerabend) haben dargetan, daß nicht nur einige Entscheidungen
zwischen konkurrierenden Theorien in der Wissenschaft auf irrationaler
Basis gefällt wurden, sondern daß die Wahl zwischen konkurrierenden, wissenschaftlichen
Theorien, vom Prinzip her, irrational sein muß." [3]
Wissenschaft
als Mythos
Oder der Hirnforscher und Nobelpreisträger Peter Medawar:
"Die Idee der naiven oder unschuldigen Beobachtung ist ein Mythos. Bei
allen Sinneseindrücken separieren wir und wählen wir aus, wir interpretieren,
suchen und zwingen Ordnung auf, erfinden und testen Hypothesen über das,
was wir beobachten." [4]
Wissenschaft
als Überredungskunst
Thomas S. Kuhn zeigt in seinem Buch "Die Struktur der wissenschaftlichen
Revolution" [5] die Strategien der Überredung, Propaganda und Immunisierungsstrategien
einer Paradigmentheorie auf und bestreitet in diesem Zuge, daß es überhaupt
grundsätzlich falsifizierende Erfahrungen gibt. Das ist leicht einzusehen,
wenn man Popper beim Wort nimmt, der fordert, daß eine Theorie solange
nicht als voll bewiesen gelte, als sie noch andere Erklärungsmöglichkeiten
zulasse. Nun, das ist zwar gut gemeint, aber er verrennt sich wiederum
in einen fragwürdigen Regreß, indem er daraus eine rigide Forderung zieht:
sein berühmtes Sparsamkeitsprinzip. Danach sei die Theorie vorzuziehen,
die mit den wenigsten zusätzlichen Annahmen auskomme, im Klartext: die
sich am besten in das "sparsame", weil geläufige Weltbild der Majorität
einfügt. Und Kuhn weist Popper als naiv zurück, wo er glaubt, eine bestehende
Theorie ließe sich mit experimentellen Ergebnissen grundsätzlich widerlegen.
Er meint lapidar, im Widerstreit zwischen Theorie und Erfahrung würde
meist nur versucht werden, die alte Theorie möglichst lange anzupassen,
aber nicht zu verwerfen. Dies mag nun genügen, um auch den neueren Theorien
distanzierter gegenüberzustehen, deren ideologische Überladung kaum geringer
ist als gewohnt, nur daß sie einen gewissen Hang zum Paradoxen, Überraschenden
oder gar Anarchistischen aufweisen, nicht anders, als dies der vorgewagteste
Erkenntnistheoretiker Feyerabend erwartet hat, wenn er schreibt: "Abweichungen,
diese ‚Fehler' sind Vorbedingungen des Fortschritts ... ohne Chaos keine
Erkenntnis." [6]
Wissenschaft
als Sehproblem
Auch daraus ergibt sich, daß unser Denken bloß scheinbar
‚objektiv' sein kann (abgesehen davon, daß es im Subjekt und nicht in
einer Maschine, einem Objekt stattfindet), denn wir lösen schon beim Hinschauen
ständig Ereignisketten durch einen Bewertungsfilter heraus, ordnen sie
nach verschiedenen, nur selten bewußten Kriterien, stülpen ihnen Netze
aus Kategorien, Verallgemeinerungen, Vorurteilen und Vorlieben über, und
meist halten wir uns in dem Glauben, die Wirklichkeit bestehe nur aus
dem, was wir - derart gefiltert - beschreiben und (technisch) beherrschen.
Durch diese Auswahl, also buchstäblich durch unser ‚erkenntnisleitendes
Interesse' schaffen wir so eine Sekundärwirklichkeit, von der wir glauben,
es sei unsere eigentliche. Als Wahrheitsbeweis gilt die Machbarkeit selbst,
übergeordnete Sinnfragen können von der experimentellen und statistischen
Forschung nicht beantwortet werden und werden daher zumeist überhaupt
ausgeblendet. Kurz und deutlich gesagt: Wahr ist, was machbar ist. Menschen
hingegen, die aus einer sog. ‚Gipfelerfahrung' oder ‚Wesenschau', also
aus einem enorm gesteigerten Bewußt- und Präsentsein zurückkommen, sprechen
völlig anders von dieser umgebenden und innewohnenden Wirklichkeit, und
das sollte eigentlich sehr zu denken geben... [7]
Wissenschaft
und Eitelkeit
Hans Peter Dürr spricht sicher vielen aus der Seele, wenn
er folgenden Aspekt hervorhebt [8]: Haben Wissenschaftler überhaupt Erkenntnis
und praktische Hilfestellung zum Ziel? Wird Wissenschaft nicht schon lange
mehr von persönlichem Ehrgeiz, Eitelkeit und Erfolgssucht geprägt und
damit zu einem angepaßten Glied in einer Wettbewerbsgesellschaft, in der
das Überholen und Übertrumpfen des anderen zum wichtigsten Ziel geworden
ist?"
Wissenschaft
als Teil der Marktwirtschaft
Wer kauft, hat recht. Auch dieses Bestätigungskriterium
ist in der real esistierenden Wissenschaft ein Wahrheitskriterium. Die
enge Verflechtung mit dem Kapitalismus wurde eigentlich schon mehrfach
angesprochen. Machbarkeit und Vermarktbarkeit sind Teile der instrumentalisierten
Realität, der Zwecksetzungen, der Objekte und folglich derObjektivität.
Wird diese zur einzig wahren Realität erklärt, wird die Welt nur aus ihren
Funktionsmechanismen heraus erklärt, werden alle ‚Warum'-Fragen zu ‚Wie-(funktioniert-das)-Fragen
reduziert, dann hört Leben und natürlich auch Mensch-Sein (und Menschenwürde)
als Wert in sich auf, dann ist auch Geist nur noch Maschinenlogik, dann
hat Wittgenstein recht, wenn er behauptet, Fragen nach einem existenziellen
Sinn und Grund sind semantisch falsch gestellte Fragen. Auch der Begriff
der Verantwortung wird in diesem Rahmen zur Leerformel.
Wissenschaft
und Inquisition
Weil bis zu einem solchen Bedeutungshorizont es meist an
Interesse und mitunter wohl auch an Intelligenz fehlt, herrscht auf Universitäten
weithin eine Peitsche der Opportunität, die der mittelalterlichen Inquisition
nur in der Methode, nicht aber in der Effizienz nachsteht. Praktisch kein
Universitätsprofessor kann es sich leisten, aus dem Commonsense der stillschweigenden
Normen auszubrechen, welche nicht nur die Methodik, sondern ebenso auch
die Forschungsthemen in engen und rigiden Geleisen hält. So werden Lehrstätten
zu Leerstätten, was Kreativität, Menschenwürde und Verantwortung betrifft,
steuer- und kapitalverschwendende Schulen der Erstarrung, Fortschrittsverhinderung
und geistigen ‚Gehirnverkalkung', sodaß selbst die Wirtschaft sich zunehmend
davon abwendet und der Begriff ‚Akademiker' bereits anrüchig geworden
ist. Verlust an ‚Marktwert' akademischen Wissens ist die eine Seite, Verlust
an Sinnhaftigkeit die andere. Die Tabuisierung der Sinnfrage wird besonders
deutlich, wo eine Nähe zu grenzwissenschaftlichen Paradigmen (die oft
auch religiöse Fragen berühren) gegeben ist. Hier wimmelt es an Beispiele,wo
deutlich wird, daß die Inquisition, unter der schon Galilei zu leiden
hatte, in etwas sublimerer, aber nicht weniger wirksamer Form auf akademischem
Boden fröhliche Urständ feiert. Der universitäre Geist wiederholt also
auch hier ein altes Muster, das schon die Kirchenscholastik letztlich
zum Abdanken und insgesamt zur ‚Renaissance' geführt hat.
Kritik
aus der Quantenphysik
Für die Welt der Quantenphysik hat sich die Subjekt-Objekt-Trennung
längst als unzutreffend erwiesen, desgleichen die Kategorien von Raum
und Zeit, ja sogar die Kategorie des Seins, als ‚es ist' oder ‚es ist
nicht'. Die Quantenphysik sieht ein Netzwerk von Wahrscheinlichkeiten,
die sich ereignen - oder auch nicht. Dabei spielt die Einflußnahme des
Beobachters, des Handelnden eine entscheidende Rolle, so daß gilt: Es
gibt Objektivität nicht, zumindest nicht im herkömmlich verstandenen Sinne.
Das ist eine Frage des Standpunktes, mehr nicht. Reden wir lieber von
‚gut abgesicherten Beobachtungen unter bestimmten Bedingungen. Daraus
ergeben sich Ordnungsmuster, aber Wirklichkeit - im quantenphysikalischen
Sinne - sind sie nicht. Als Beispiele dafür können u.a. das Einstein-Podolsky-Rosen-Paradoxon
oder Schrödingers Katzenparadoxon gelten. [9]
Unsere
Sicht ist unser Gefängnis
Nun läßt sich entgegnen, daß wir ja trotzdem im cartesianischen
Raum der Subjekt-Objekt-Spaltung verbleiben und der quantenphysikalische
sei unserer praktischen Wirklichkeit gegenüber transzendent. Wer sagt
uns, daß wir uns nicht bloß hartnäckig weigern, die quantenphysikalische
Wirklichkeit auch im makroskopischen Bereich zu sehen? Wer sich darin
auskennt und sich auch mit Paraphänomenen und Mystik beschäftigt, findet
regelmäßig die augenscheinlichen Parallelen. Wir bauen also bloß fortlaufend
an unserem geistigen Gefängnis durch die kategorialen Filter, mit denen
wir die Welt betrachten. Und hinter diesen stehen meist unterschwellige
‚erkenntnisleitende Interessen' (Gewohnheiten), die nur fortbestehen,
weil sie nicht hinterfragt werden, mehr noch, weil sie innerhalb herkömmlicher
Wissenschaftlichkeit überhaupt nicht hinterfragt werden können! Wem das
bewußt wird, dem brennt zunehmend die Frage auf der Seele: ‚Kann ich sie
abbauen und wie, ohne daß ich selbst dabei überschnappe?' Doch das ist
genau die Frage vieler spiritueller ‚Aussteiger', Schamanen und Mystiker.
Sie hören auf, sich die Welt um ihre Bedürfnisse herum anzupassen. sie
versuchen, ihr Verstrickungsgespinst zu lösen, anstatt es immer nur neuen
Moden und Tageserkenntnissen anzupassen. Ihre Politik geht in Richtung
‚Sein' statt ‚Haben', ‚Loslassen' statt ‚festhalten', den inneren Dialog
beenden und endlich ‚Durchblick' in einer ganz anderen, übergeordneten
Weise zu gewinnen... Bevor wir uns allerdings ganz auf diese Perspektive
einlassen, einige ‚umstürzlerische' Ergebnisse, die bereits eine erneute
‚Renaissance' erkennen lassen. Bemerkenswert daran ist, daß sie aus den
verschiedensten Forschungsdisziplinen selbst hervorgegangen sind: Informatik,
ja sogar Mathematik, sowie Systemtheorie, Biologie, Kulturanthropologie,
Medizin, Musiktheorie, Psychologie, Pädagogik.... Dazu nur einige Schlaglichter:
Die
Welt ist ‚fraktal' geordnet und ‚dissipativ'
Schon vor bald 20 Jahren machte die Chaos-Theorie, Fraktale
Geometrie v.a. zusammen mit der Theorie der Dissipativen Strukturen (‚dissipativ'
heißt in etwa ‚labiles Fließgleichgewicht') sowie jene der Selbstorganisation
Furore. Die Fraktale Geometrie oder Theorie der Selbstähnlichkeit avancierte
zum neuen Ordnungsstandard für viele Naturphänomene (Organismen, Landschaften,
Wetter, Galaxien...) und an sich auch für geistige Bereiche, etwa in der
Lerntheorie. Ein Tor in eine neue Welt des Begreifens wurde damit aufgestoßen.
Sie
organisiert sich nicht linear, sondern systemisch
Unser Bild vom Gleichgewicht zwischen Ursache und Wirkung
ist falsch bzw. gilt nur für triviale Probleme (wo einfache Mechanismen
genügen). Aus der Theorie der Dissipativen Strukturen geht hervor, daß
kleinste Ursachen (z.B. ein Flügelschlag) größte Wirkungen hervorrufen
können (z.B. einen Sturm). Zudem erklärte man sich zuvor die Entstehung
von Strukturen höherer Ordnung physikalisch oder chemisch aus niederen,
und zwar linear, offensichtlich, ohne sie zu verstehen. Prigogine wies
nun darauf hin, "daß an chemischen Instabilitäten eine Fernordnung beteiligt
ist, durch die das System als Ganzes wirkt" und "daß diese einfache Konzeption
von Raum und Zeit durch das Auftreten von dissipativen Strukturen durchbrochen
werden kann. Sobald eine dissipative Struktur entstanden ist, wird möglicherweise
die Homogenität von Raum und Zeit zerstört" [10]
Unser einfaches Bild von Kausalität geriet also
auch damit ins Wanken.
Sie
ist komplex, nicht trivial
In diesem Zuge stellte sich das ‚Überdrüber' der naturwissenschaftlichen
Methode, die reduktionistische Vorgehensweise, als unhaltbar heraus. Bis
dahin wurde versucht, alle Phänomene einer höheren Seinsebene auf die
jeweils niedrigere und schließlich auf diejenige der Physik zu reduzieren.
Daß das nicht so ohne weiteres geht, mußte schon der ‚Wiener Kreis' (Carnap,
Gödel...) mit Bedauern feststellen, der die Schiene des Aristotelismus,
Thomismus und Cartesianismus auf die Spitze trieb. Die neueren physikalisch-chemischen
Theorien erhärten die Unmöglichkeit dieses Unterfangens. Dazu allgemein
- und eigentlich ist der Schluß ja beschämend klar und einfach - Hans
Primas: "Jede Maschine beruht in ihrem Betrieb auf den Gesetzen der Physik
und Chemie, aber der Entwurf der Maschine stammt aus einem höheren Ordnungsprinzip.
In diesem Sinne kann man Maschinen nicht auf rein physikalische Ursachen
zurückführen". [11] In diese Perspektive gehören auch die Beiträge zur
Theorie der lebendigen Organisation, etwa von Maturana und Varela, deren
‚Autopoesis' (Selbstorganisation) freilich noch keineswegs der letzte
Schluß sein kann. Maturana: "Wir erzeugen buchstäblich die Welt, in der
wir leben, indem wir sie leben." [12] Doch daraus (wie er es nahezulegen
versucht) den Umkehrschluß zu ziehen, erscheint zwar toll, aber wieder
einmal steht damit der prometheische Wunsch Pate, alles einfach nach Vorstellung
und Wille zu machen...
Sie
entsteht durch Morphogenese
Von so ungeheurer Tragweite, daß sie vom Wissenschaftsestablishment
nicht mehr nachvollzogen werden wollte - auch weil damit der systemische
Materialismus und Agnostizismus ins Wanken geraten - ist die Theorie der
Morphogenesis von Rupert Sheldrake. Er formuliert damit nichts geringeres
als eine Art ‚Lerntheorie' der Evolution. [13] Zunächst ging es dabei
um Lösungsvorschläge zu Fragen wie: Wie wird ein Teil zum Ganzen (Regenerationsvermögen
eines Organismus, Reproduktion neuer Organismen)? Wie können Zellen, die
gleich programmiert sind (DNS), sich verschieden entwickeln? Der ‚casus
knacktus' fand sich in Sheldrake's Theorie der ‚formbildenden Verursachung'
jedoch genau dort, wo er das materialistische Weltbild als solches erschüttern
würde: Um etwa für die unerwarteten Ergebnisse der Rattenversuche zur
Untersuchung der Lamark'schen Hypothese der Vererbung eine plausible Erklärung
zu finden, müßte man annehmen, daß Lernleistungen auch eine Art ‚Fernwirkung'
haben. Die Übertragung der Zunahme an Lernleistung sowohl bei trainierten
wie bei nicht trainierten Rattenstämmen ist nämlich orthodox nicht erklärbar.
Sheldrake nun behauptet, daß allein die Ähnlichkeit sogenannter ‚morphogenetischer
Felder' ausreicht, um - unabhängig von Genealogie, Raum und Zeit eine
morphische Resonanz hervorzurufen, d.h. ein anderes lebendes System an
der Errungenschaft des einen teilhaben zu lassen. Wir kommen also zum
Schluß: Information wirkt durch Resonanz - Sie braucht als Überträger
keine Substanz. Nun, das klingt ganz arg nach Telepathie und Telekinese,
und hier muß wohl mit Christian Morgenstern gesagt werden, daß "nicht
sein kann, was nicht sein darf" - oder?
Schlußbetrachtung
Wenn wir also doch auch makroskopisch in einer quantenphysikalischen
Welt leben, es nur nicht wahrhaben wollen - was dann? Schneiden wir uns
dann nicht ab von einer Fülle curativer und kreativer Möglichkeiten, in
die wir besser als Lernende hineinwachsen sollten? Beschneiden wir uns
dann nicht unsere menschliche, nämlich bewußte (!) Evolution? Erinnern
wir uns beispielsweise - und damit komme ich wieder auf das Kapitel "Unsere
Sicht ist unser Gefängnis" zurück - an die alte Kosmologie und harmonikale
Zahlensymbolik der Pythagoräer, Kabbalisten oder Inder, wo geometrische
Orte Qualitäten verkörpern, die in ihren analogen Verhältnissen gesetzmäßig
zueinander und aufeinander wirken? Als Ton, als Farbe, als Beschaffenheit
und Gestalt und spiegelbildlich im Subjekt als Stimmung und innerem Vermögen?
Wie sagte doch schon Goethe: "Solltet im Naturbetrachten immer eins wie
alles achten: Nichts ist drinnen, nichts ist draußen, denn was innen ist,
ist außen." [14] So durchzieht alles die im Abendland noch so erschreckend
darniederliegende Innen-Außen-Problematik. Dieses Darniederliegen äußert
sich nicht nur im vordergründigen, kulturlosen Unwesen der politischen
Kämpfe Ewiggestriger (z.B. Faschisten und Antifaschisten), als Reste einer
Machtpolitik zwischen Kapitalismus und Kommunismus bzw. im totalen Krieg
des Neoliberalismus (der US/EU-Politik) bzw. inden selbstzerstörerischen
Modetrends handinhand mit der Verdummungsindustrie der Massenmedien. Mit
den Versuchen auf gentechnischer und Mikrochipbasis, neue Geschöpfe nach
unserer Vorstellung zu formen, sind wir am Gipfel- und Wendepunkt der
Selbstherrlichkeit, bei den ‚gefallenen Engeln' des christlichen Mythos,
die ‚sein wollten wie Gott' und deswegen in die Tiefe und Dunkelheit stürzten.
Das Licht der prometheischen, luziferischen Erkenntnis haben unsere Naturforscher
bereits bis zu diesem tiefsten Punkt des Materialismus gebracht. Doch
zugleich damit wird zunehmend deutlich, wo sie (und wir als Konsumenten
dieser Technologie) die ‚Rechnung ohne den Wirt' machen. In dem Maße nun,
wie wir das Wesen der Sphinxfrage "Wer bist Du, Mensch" erkennen, also
die Frage stellen nach dem Bewußtsein selbst - als Schöpfer all dieser
Dinge und Torheiten, finden wir wieder Anschluß an die alten Weisheitslehren
der Indianer, Inder, des Zenbuddhismus, der jüdischen und griechischen
Mysterien..., kurz: an die ‚philosophia perennis', die sich so schlecht
predigen, aber desto wünschenswerter leben läßt. Das Rad dreht sich, und
nach über zweieinhalbtausendjähriger Odyssee (diese Darstellung begann
bei Pythagoras, die Wurzeln seiner Kosmologie wie auch jene der Entfremdung
vom Baum des Lebens reichen jedoch viel weiter zurück) scheint sich der
Trend nun allmählich umzukehren - von der Suche der Ursachen im Außen
ins Bewußtsein selbst. [15] Wie einleitend gesagt, vermittelte ich nur
Blitzlichter menschlicher Kulturgeschichte und ließ dabei so manche wichtige
Strömung beiseite (z.B. Neuplatonismus, die Lehren der Hypathia, Gralsbewegung
und Templerorden, aber auch z.B. den ohnehin allzu bekannten Kommunismus
und nationalistische Fehlgeburten etc. - und das sind nur die abendländischen
Strömungen). Es lohnt sich sicher, das eine oder andere Thema dazu in
einer weiteren Folge gesondert zu behandeln. Natürlich leitete mich dabei
ein ganz bestimmtes Interesse, nämlich die Frage: Wie formte die Geschichte
den alle Zeiten durchziehenden Wettstreit zwischen Haben und Sein, Prometheus
und Anima mundi (Weltenseele), vergewaltigender, unterdrückender Machtgebärde
und einfühlender Suche nach dem Wesen der Existenz, hochmütige Erschaffung
künstlicher Paradiese und Suche nach dem geahnten und verborgenen, das
nur der Demütige betreten kann. Leider ist mir bislang kein Autor bekannt,
der die Kulturgeschichte nach diesen Kriterien befragt hätte. Aber diese
Fragen scheinen mir wichtiger denn je, wenn wir uns nicht in Chimären
und Leiden verrennen, sondern Glück und ‚ewiges Leben' erringen wollen...
Anmerkungen:
- Popper Karl: Die Logik der Forschung; J.C.B. Mohr (Paul Siebeck),
Tübingen 1976, S. 8
- Moser Franz: Bewußtsein in Raum und Zeit - Die Grundlagen einer holistischen
Weltauffassung auf wissenschaftlicher Basis; Leykam, Graz, 1989, S.
49
- Laudon Larry: Progress and ist Problems - Towards a Theory of Scienetific
Growth; Routledge and Kegan Paul, London-Henley, 1977
- Medawar Peter: Hypothesis and Imagination; in: The Philosophy of
Karl Popper; A. Schlipp (Ed.), La Salle, USA, 1974, S. 275
- Kuhn Thomas S.: Die Struktur der wissenschaftlichen Revolution; Suhrkamp
TB, Frankfurt/M, 1978
- Feyerabend Paul: Wider den Methodenzwang, Suhrkamp 1977
- s.u.a.: Bucke R.M.: Die Erfahrung des Kosmischen Bewußtseins; Aurum,
Freiburg /Br. 1975 Maslow Abraham: Religions, Values and Peak-Experiences;
Viking Press, New York 1974
- Dürr Hans Peter: Das Netz des Physikers; Carl Hauser 1988, S. 21
- vgl. u.a.: Moser, a.a.O., S. 85ff
- Ilya Prigogine: Vom Sein zum Werden - Zeit und Komplexität in den
Naturwissenschaften; Piper, München 1980, S.117 u. 118
- Primas Hans: Chemistry, Quantum Mechanics and Reductionism; Springer,
Berlin 1985, S. 308)
- Maturana Huberto: Erkennen: Die Organisation und Verkörperung von
Wirklichkeit; Vierweg, Braunschweig-Wiesbaden 1985, S. 269
- Sheldrake Rupert: Das Schöpferische Universum - Die Theorie des morphogenetischen
Feldes; Goldmann TB, München 1984 bzw. ders.: A New science of Life,
The Hypothesis of Formative Causation; Paladin, London-Glasgow 1987
- Diese Betrachtung kommt allmählich in Mode, repräsentiert ewa durch
den ‚Arbeitskreis für Harmonikale Grundlagenforschung' in München, dem
‚Institut Psychosomatique' in Blonai, Schweiz, der Veda-Akademie in
Schöna etc. S.a. A. Zweig: Symbolforschung und Naturwissenschaft, Vlg.
Peter Lang, Bern
- Dazu steht eigentlich noch die Erörterung der rezenten Gehirn- und
Bewußtseinsforschung aus, z.B. von J.C. Eccles, K. Pribram, Ken Wilber
u.a.
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